Disney+Thriller-Serie „A Murder at the End of the World“ (2024)

Es dauert ein wenig, bis die Dinge in „A Murder at the End of the World“ Fahrt aufnehmen, aber bald schon kann man die Augen nicht mehr abwenden von den Figuren und der Story dieses ungewöhnlichen Thrillers, der die Schnörkellosigkeit skandinavischer Krimis mit scharfer Kulturkritik am digitalen Zeitalter und der wunderbaren Sensibilität des Autorenduos Brit Marling und Zal Batmanglij verbindet.

Wie man von einem anderen, vielbeachteten Werk der beiden weiß, ist ihnen an der sorgfältigen Zeichnung ihrer Hauptfiguren und der Tonalität gelegen, bevor sie sich der Story hingeben: Mit „The OA“ haben sie 2016 eine genresprengende Mysteryserie geschaffen, die jedoch nach nur zwei Staffeln eingestellt wurde. Nun kehren sie mit einem abgeschlossenen Siebenteiler zurück, in dessen Mittelpunkt erneut eine junge Frau mit einem siebten Sinn steht: Die Amateurdetektivin Darby Hart (Emma Corrin), die mit Mitte zwanzig ein Buch über ihre erfolgreiche Lösung einer Frauenmord-Serie vor mehr als einem halben Jahrzehnt veröffentlicht hat, als sie eine exklusive Einladung erhält.

Dass ihr Name auf der Gästeliste des Tech-Giganten Andy Ronson (Clive Owen) zu einem Weltenbeweger-Treffen in seinem abgelegenen isländischen Hightech-Hotel steht, überrascht sie. Ronson ist ein einflussreicher Mogul des digitalen Zeitalters, der einen Gott-Komplex pflegt und meint, den Verlauf der Menschheitsgeschichte vorhersehen und lenken zu können. Owens Ronson erinnert stark an Elon Musk: Kultstar, Tech-Autokrat, Paranoiker, der mit „alternativen Intelligenzen“ den Planeten zu retten gedenkt. Für jemanden wie Darby, und nicht nur für sie, ist dieser Mann freilich kein Messias, sondern ein Menetekel.

Owens Ronson erinnert stark an Elon Musk

Aber Darby ist ein Fan von Andys Ehefrau, der legendären Hackerin Lee (Marling), die, nachdem sie ein feministisches Manifest formuliert hatte, aus dem Netz gemobbt wurde und nun den gemeinsamen fünfjährigen Sohn Zoomer großzieht. Wie sich zeigt, sind neben Darby acht Tech-Genies unterschiedlichster Provenienz der Einladung der Ronsons gefolgt: die Mondsiedlungsentwicklerin Sian (Alice Braga), der Klimaforscher Rohan (Javed Khan), der radikale Filmemacher Martin (Jermaine Fowler), die Stadtarchitektin Lu Mei (Joan Chen), der Roboteringenieur Oliver (Ryan Haddad), der Unternehmer David (Raúl Esparza), die Futuristin Ziba (Pegah Ferydoni) – und der Digitalkünstler Bill (Harris Dickinson), mit dem Darcy einst eine tiefe, komplizierte Liebe verband, als sie gemeinsam den Mörder von elf Frauen zu finden versuchten, wie in Rückblenden aufgefächert wird.

Dann ereignet sich am Ende der Welt ein Mord, ein Schneesturm setzt die Gäste fest, und plötzlich ist Darby in ihrem Element. Als Tochter eines Gerichtsmediziners war sie bereits als Knirps Zeuge, wie ihr Vater Todesursachen ermittelte (und seinen jungen Azubi ermahnte, immer schön bei den Tatsachen zu bleiben).

Dass Marling und Batmanglij, die auch Regie führen, Anleihen bei Agatha Christies „Und dann gab’s keines mehr“ (vormals „Zehn kleine Negerlein“) nehmen, ist keine Frage. Aber ihr Stück geht weit über den klassischen Whodunnit hinaus. Die geladenen Gäste und die Ronsons selbst, aber auch Darby Hart gewinnen erst im Verlauf der Dinge immer genauer und zuweilen verstörender an Kontur. Die Handlung schlägt Volten, durch die sich die Verhältnisse mehrfach verschieben. Darbys Direktheit kontrastiert mit dem Dünkel der Mover und Shaker im schicken Ronson-Refugium, die ihr zumeist mit Herablassung begegnen. Überhaupt sind die Kontraste hier zahlreich. Da sind die warmen Brauntöne der Vergangenheit und da ist das kalte Blau der digital durchkomponierten Gegenwart; die Weiten der Landschaft auf Bill und Darbys Roadtrip auf Verbrecherjagd und die klaustrophobische Begrenzung von Ronsons Bunker; die mit Risiken behaftete Romantik des Analogen damals und die vermeintlich gesicherte digitale Welt jetzt.

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Ein paar Ungereimtheiten gibt es dennoch: Dass eine technisch versierte junge Frau wie Darby in dem „intelligenten“, also komplett informationsvernetzten Hotel eines Tech-Titanen nicht zögert, den holographischen KI-Butler Ray (Edoardo Ballerini) bei der Lösung ihrer Fälle zu konsultieren, macht ebenso stutzig wie einige Lücken im Überwachungssystem von Andy Ronsons schöner neuer Welt. Aber sie verblassen in diesem vielschichtigen Stück, das sich weniger um die Lösung des Krimis selbst dreht, sondern die Suche nach dem Täter dazu nutzt, immer weitere Schichten der Figuren und der Story freizulegen. Darby und Bills jugendliche Lovestory könnte eine eigenständige Serie sein, und die vielen Feinheiten in den Darstellungen von Corrin und Dickinson allein machen diese Miniserie sehenswert.

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Aber da ist noch mehr. Die Autoren unterlaufen selbstsicher die Tendenz des Serienkiller-Genres, den Zuschauer zum Voyeur zu machen, und erzählen sensibel und klug. Am Ende ist dieser Siebenteiler erstaunlich viel. Nicht zuletzt ist er ein Stück über Angst und Kontrolle und Macht und Ohnmacht, das weit gruseliger ist als jeder Krimi, den man seit Langem im Fernsehen gesehen hat.

A Murder at the End of the World startet heute bei Disney+.

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